Liebe Piraten, liebe Mitleser,
es
ist an der Zeit, mich zu äußern. Nach einem Jahr als
stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes Bielefeld und als
gewählter Direktkandidat der Piratenpartei im Wahlkreis 132
Bielefeld – Gütersloh II für die Wahl zum 18. deutschen Bundestag
am 22.9.2013 halte ich es für überfällig, dass ich mich erkläre.
Ich tue das hiermit etwas umfassender, etwas ausschweifender, als es
vielleicht notwendig wäre, vielleicht auch an manchen Stellen etwas
sprunghafter, unzusammenhängender als es wünschenswert wäre. Aber
ich fühle mich in der Pflicht, zu einigen Dingen Stellung zu
beziehen, einige Dinge zu erklären. Ich nutze diese Gelegenheit
auch, um über meine Tätigkeit im Vorstand der Piratenpartei
Bielefeld zu berichten. Beginnen möchtet ich aber am Anfang meiner
"Piratenkarriere" und einem Blick auf die Piratenpartei von
heute...
Das Experiment
Ich
bin 2011 in die Piratenpartei eingetreten. Nach der Berlin-Wahl bin
ich das erste Mal in Bielefeld zum Piraten-Stammtisch gegangen.
Dieser Tag hat mein Leben verändert. Vier Wochen später war ich
Mitglied, so wie tausende andere die dafür sorgten, dass sich die
Mitgliederzahl inzwischen mehr als verdreifacht hat.
Die
Piratenpartei hat sich in diesem Prozess verändert. Sie ist nicht
mehr die nerdige Ein-Themen-Partei, die sie nie war. Sie ist ein
Sammelbecken geworden für alle, die Politik machen wollen, und nicht
alle Piraten haben das Grundsatzprogramm gelesen, geschweige denn es
gar verinnerlicht (wie ich es von mir in weiten Teilen behaupten
würde). Manche beweisen sogar eine erschreckende Ignoranz darin,
sich darüber hinweg zu setzen. Welche abstruse Blüten dieses
Piraten-Gewächs hervorbringen kann, haben wir in den letzten Monaten
erleben dürfen. Trotz allem, der Stamm, die Wurzeln dieser Pflanze
names Piratenpartei sind inzwischen stärker geworden.
Der
Prozess stabilisiert sich etwas. Tausende von Menschen, die in den
letzten 18 Monaten in die Piratenpartei eingetreten sind, haben ihren
Platz darin gefunden. Andere sind weiter gezogen. Die Partei ist
stärker geworden in der Zahl der Aktiven, und in der Beherrschung
der Kommunikation. Die Möglichkeiten der Partei, Informationen und
Wissen zu verarbeiten, sind größer als je zuvor. Die Mittel, auf
ihrer Basis zu Entscheidungen zu kommen, sind sicherlich nicht so
weit wie wir uns das wünschen würden, aber wir arbeiten daran. Gute
Dinge brauchen eben manchmal etwas Zeit.
Die
Partei ist eigentlich gar keine Partei. Sie ist ein politisches
Gehirn welches lernt mit sich selbst zu kommunizieren. Sobald sich
die Mechanismen der Kommunikation etabliert haben, wird es seine
Aufmerksamkeit nach außen richten. Wir sollten hoffen, dass wir bald
so weit sind, denn in ein paar Monaten stehen Wahlen an, und wer
möchte wirklich die nächsten vier Jahre wieder von der grauen
Melange der etablierten Parteien regiert werden? Wer glaubt, die
herrschende Parteienriege könnte allein auf sich gestellt die Wende
in diesem Land schaffen, den beneide ich um seine Fantasie.
Nicht
dass ich keine Fantasie hätte. Ich stelle mir immer noch vor, ich
könnte die Welt verändern. Und irgendwie mach ich das ja auch.
Jeden Tag. Stunde um Stunde. Ob ich schlafe, oder wache. So wie wir
alle, durch unser Tun oder Nichts-Tun. Aber darauf zu setzen, dass
die, die unser Erbe des Sozialstaates zerstört haben, es nun wieder
zurückbringen und erneuern, ist aller Wahrscheinlichkeit nach keine
gute Investition. In der Risiko-Abwägung, in der
Kosten-Nutzen-Schätzung, sollte man Alternativen in Betracht ziehen.
Eine Absicherung gegen drohende Verluste. Einen Fuß in der Tür zur
Macht, mit dem man, selbst wenn man nicht mitregiert, eine Menge
erreichen kann.
Wenn
die Piratenpartei in den Bundestag einzieht, wird es nicht lange
dauern, bis sie die besseren Gesetzesvorlagen einbringen wird, und
dazu in kürzerer Zeit. Bei einem Erfolg der Piratenpartei werden
wieder Zehntausende in die Partei eintreten, und sie werden auf
Strukturen stoßen, die sich etabliert, die sich bewährt haben. Sie
treffen auf Kreisverbände, Arbeitsgruppen, Servicegruppen (was immer
man von diesen halten mag), auf Crews, auf eine weiter entwickelte
Technik und neue Informationskanäle. Aus Tausenden von Menschen, die
schon heute über das Internet in Echtzeit Politik machen, werden
Zehntausende.
Wenn
es soweit ist, wird die Partei auf neue Probleme stoßen, neue Fehler
machen, aber ihre Fähigkeit, aus ihnen zu lernen, wird mit jedem Mal
stärker. Und es wird nicht lange dauern, bis sie besser und
effizienter arbeitet – in Quantität und Qualität – als die
heutigen Volksparteien. Wofür SPD und CDU hunderttausende Mitglieder
und Millionen Euro benötigen, wird die Piratenpartei mit weniger
Leuten und weniger Geld erreichen. Ganz einfach deshalb, weil jeder
mitmachen kann, und jeder dort wirken kann wo er seine Kraft am
Sinnvollsten eingesetzt sieht. Die Möglichkeiten der Beteiligung in
der Piratenpartei sind nicht einmal im Ansatz vergleichbar mit denen
anderer Parteien. Irgendwann, eher früher als später, wird der
Punkt kommen, an dem die etablierten Parteien nicht mehr mithalten
können – es sei denn, sie passen sich der Piratenpartei an. Die
Piratenpartei wird, wenn sie in den Bundestag einzieht, in der Lage
sein, die politischen Prozesse aufzubrechen, der Stimme der Bürger
wieder einen direkten Zugang zum Parlament zu verschaffen, und
ernsthafte Politik 2.0 zu machen. Sie wird, auch wenn sie wohl nicht
auf Anhieb regierungsfähig sein wird, das System für ein Update
vorbereiten. Sie wird an den Herausforderungen wachsen, das Systems
von innen heraus analysieren und Lösungen erarbeiten. Wenn sie
dieses Jahr in den Bundestag einziehen sollte, ist es durchaus
denkbar, dass sie in vier Jahren zumindest drittstärkste Kraft sein
wird.
Natürlich,
das ist optimistisch. Es ist bei Weitem nicht sicher, dass sie es in
den Bundestag schafft. Sollte sie allerdings scheitern, werden wir
mindestens vier weitere Jahre die gleiche, altebekannte, altbackene
Eintönigkeit aus den Medien vernehmen. Und so wenig, wie es sicher
ist, dass die Piratenpartei im September in den Bundestag einziehen
wird, so wenig ist es sicher, dass sie nach einem Erfolg auch
wirklich erfolgreich sein wird. Die Piratenpartei ist ein Experiment,
dass auch scheitern kann. An sich selbst, oder an ihren Aufgaben
(falls es dort einen Unterschied gibt). Aber was ist schon das Risiko
dabei? Und was das Potential? Wollen wir – die Bürger dieses
Landes - das Experiment wagen? Oder schrecken wir zurück, weil wir
lieber darauf hoffen, dass schon alles gut wird wenn wir so weiter
machen wie bisher, wenn wir jene weiter machen lassen, die uns schon
in der Vergangenheit enttäuscht, manche von uns gar verraten haben?
Diese und andere Fragen muss sich wohl jeder von uns stellen.
Die Hoffnung
Ich
habe nicht nur einmal geglaubt, eine Partei könnte etwas verändern.
Ich hatte die Hoffnung, die SPD könnte die Ära Kohl wie ein dunkles
schwarzes Zeitalter erscheinen lassen, aber die SPD zerstörte mit
Hartz IV die Reste unserer Solidargemeinschaft. Ich hatte die
Hoffnung, die Grünen würden eine friedvolle Politik machen, aber
sie waren die Ersten, die deutsche Soldaten in den Krieg schickten.
Als ich an die Linke glauben wollte, war mein Zynismus und meine
Erfahrung schon so groß, dass ich zwischen ihren Ansprüchen und
ihrer Wirklichkeit viel zu große Widersprüche fand.
Manchmal
dachte ich sogar schon, ich sollte CDU oder FDP wählen. Die CDU mit
einer ostdeutschen, protestantischen Frau an der Spitze und an ihrer
Seite ein homosexueller Aussenminister und ein Vizekanzler mit
Migrationshintergrund aus der FDP – SPD und Grüne hätten das
nicht besser hingekriegt. Und auch ansonsten ist die CDU heute nah an
dem, was die SPD vor 20 Jahren mal war – oder bin ich einfach nur
älter und konservativer geworden?
Nun
ja, Gründe die FDP zu wählen, sehe ich wenige. Obwohl ich einzelnen
Personen innerhalb dieser Partei durchaus großen Respekt zolle,
insbesondere wenn es um Freiheit und Bürgerrechte geht, so halte ich
doch die Macht des Kapitals, welche aus der FDP spricht, für keinen
guten Ratgeber in der heutigen Zeit.
Ich
setze meine Hoffnung weiterhin, heute mehr denn je, auf die Piraten.
Kann ich enttäuscht werden? Sicherlich. Aber soll ich deswegen
resignieren? Oder nicht doch lieber versuchen, an der Veränderung
mitzuwirken? Auch auf die Gefahr hin, dass meine Hoffnung vergebens
ist, und sich das Versagen der Politik in der Piratenpartei ebenso
ausbreitet wie in den anderen Parteien, soll ich die Zukunft etwa
schon jetzt abschreiben? Die Piratenpartei ist unsere beste Chance,
wir sollten sie nutzen. Oder es zumindest versuchen. Versuch macht
kluch, sacht man. Und wer es nicht versucht, hat schon verloren.
Die Aufgabe
Ich
stehe vor einem Zwiespalt. In der Piratenpartei heisst es "Themen
statt Köpfe". Aber ich bin nun ein Kopf. Als Direktkandidat der
Partei für diese Bundestagswahl ist es nun einmal meine Aufgabe,
ein Kopf der Partei zu sein. Ein Kopf, den die Leute kennen müssen,
damit sie wissen, wen sie wählen. Listenkandidaten mögen es da
einfacher haben. Sie kriegen ihr Mandat über die Partei.
Direktkandidaten bekommen die Stimmen auf ihren Namen. Sie erhalten
das Mandat von den Menschen, die sie direkt wählen. Also muss ich
den Kopf hinhalten, wenn es darum geht, um Wähler (und Engagement)
zu werben. Egal ob mir – oder euch - das gefällt oder nicht.
Das
Problem ist: ich werde als Direktkandidat nicht nur die Partei
repräsentieren können. Ich werde auch mich selbst präsentieren
müssen. Und Position beziehen müssen. Seit meiner Entscheidung,
kommunal bei den Piraten aktiv zu werden, habe ich versucht, mich auf
Handfestes zu besinnen. Auf Verwaltung, auf Technik, auf Strukturen.
Politische Arbeit ist in den Hintergrund gerückt. Mit allen
gewollten und ungewollten, mit allen positiven wie negativen
Konsequenzen. Ich bin gerne bereit, offensiv für die Partei zu
werben, allerdings ebenso mit meinen Worten und meiner Meinung, wie
mit denen der Partei. Ich werde diesen Wahlkampf als Person ebenso
führen wollen wie als Vertreter der Piratenpartei. Und nun die große
und spannende Frage: Wie weit werde ich damit kommen? Werde ich nach
dem ersten Shitstorm von Bord gespült (schau ma mal), oder wird mich
eine Welle ins Parlament tragen (Wunder geschehen immer wieder ;-) )
? Vielleicht gehe ich einfach sang- und klanglos unter. Aber egal was
passiert, ich habe mich entschieden, dieses Risiko einzugehen und es
zu einfach zu tun. Wie gesagt, versuch macht kluch.
Ich
möchte mit so vielen Piraten wie möglich in den kommenden
Bundetagswahlkampf ziehen. Wir brauchen jede Unterstützung. Ich
brauche jede Unterstützung. Auch wenn ihr nicht wissen könnt, auf
was ihr euch mit mir eingelassen habt, so kann ich euch versichern,
dass ich mein Bestes dafür geben werde, dass die Piratenpartei in
Bielefeld mindestens zehn Prozent holt. Aus einem einfachen Grund:
Mit zehn Prozent in Bielefeld und NRW wäre Isabelle Sandow, (alte
und hoffentlich neue) Vorsitzende des KV Bielefeld und auf
Listenplatz 14 in NRW, im Bundestag. Es gibt wenige Menschen, die ich
für geeigneter halte, die Ideale der Piratenpartei in konkrete
Politik umzusetzen. Zudem steht natürlich außer Frage, dass ich
beabsichtige, mich gegen meine Konkurentinnen aus den anderen
Parteien durchzusetzen (manchmal ist ein bisschen Realitätsverlust
durchaus hilfreich). Projekt 50+ könnte ich meine Kampagne nennen.
Aber
genug von der ganzen Politik und dem bevorstehenden Kampf in der
Demokratie. Zu meiner Person. Wer ist das, der hier meint, er wolle
50% der Bielefelder Wähler davon überzeugen, ihn als Pirat in den
Bundestag zu wählen? Wer ist die Person, die so dreist Unterstützung
von Piraten und Wählern fordert? Tja, wo soll ich anfangen...
Was bisher geschah...
Zu
erst einmal, was habe ich bei den Piraten bisher gemacht. Ich bin
seit meinem Eintritt in die Partei im Oktober 2011 fast immer beim
Bielefelder Stammtisch gewesen. Ich habe mich anfangs noch auf der
Mailingliste der AG Wirtschaft rumgetrieben, über Geld und die Welt
geschrieben, habe dies dann aber zu Gunsten der kommunalen
Aktivitäten eingestellt. Etwas, was ich zwar bedaure, aber nicht
bereue.
Sehr
früh habe ich die Aufgabe des Protokollanten am Stammtisch
übernommen. Nicht immer, aber immer öfter. Ich habe das Blog
aufgesetzt, hoste es bis heute auf meinem Server, auch wenn ich mich
wenig um die Inhalte kümmere. Das haben glücklicherweise andere
übernommen. Ich bin ab und zu im Wiki aktiv, auch wenn es mehr sein
könnte. Viel zu viel bleibt ungetan an unserer Wiki-Seite. Und ich
habe schon vor einiger Zeit, neben Isabelle und einem Ur-Piraten, die
Administration der Mailingliste übernommen.
Bei
der Kreisverbandsgründung am 22.4.2012 wurde ich zum zweiten
Vorsitzenden gewählt und habe seitdem an fast allen
Vorstandssitzungen teilgenommen. Im NRW-Wahlkampf war ich regelmßig,
wenn auch nicht so häufig und ausdauernd wie andere, am Infostand,
habe Plakate auf und später wieder abgehängt, Flyer in Briefkästen
gesteckt und mit vielen Menschen gesprochen, die uns, den Piraten,
damals offen und freundlich und mit unverhohlener Sympathie
entgegentraten.
Seit
den Anfängen des Kreisverbandes habe ich zudem Zugriff auf die
Mitgliederverwaltung, übernehme (nicht als einziger) die
Akkreditierung für kommunale Parteitage und Mitgliederversammlungen.
Ein oder zweimal beim Stammtisch, ein paar mal öfter in
Vorstandssitzungen, habe ich die Versammlungsleitung übernommen.
Daneben
habe ich Zugriff auf den Requestracker, auf das Support-Ticket-System
der Piratenpartei für den Bereich Bielefeld, und versuche, alle
Anfragen so gut wie möglich zu bearbeiten. Manchmal gelingt das,
manchmal nicht. Aber ich denke schon, dass die Erfolgsquote im Laufe
der Zeit gestiegen ist, selbst wenn die Datenbasis für eine
aussagekräftge Statistik noch zu dürr sein dürfte.
Zu
Beginn habe ich mich kurzzeitig im Bielefelder Arbeitkreis "kommunale
Transparenz" und etwas länger in der Bielefelder AG Technik
engagiert. Der AK kommunale Transparenz ist durch den plötzlichen
Landtagswahlkampf zwar inaktiv geworden und hat sich davon niemals
erholt, aber er hat schon damals erste Ergebnisse produziert, die es
nun zu nutzen gilt. Hinsichtlich der AG Technik bin ich nicht
unglücklich darüber, dass sich andere Menschen dieser angenommen
haben. Leinwand, Beamer, Kamera, Streaming, ich vermisse es nicht
mich darum zu kümmern. Mein ausdrücklicher Dank geht hier an Ralf,
der nicht nur für das Streaming auf den jüngsten Veranstaltungen
gesorgt hat, sondern in Bielefeld das Freifunknetz mit aufbauen
hilft.
Die
Vorstandsarbeit bestand im vergangen Jahr zu einem großen Teil aus
Verwaltung. Anträge zu Finanzierungen, zu Pressemitteilungen, zur
Aufnahme von Mitgliedern, die Bearbeitung von Vorstandsemails und
Post, dem Versenden von Einladungen, dem Organisieren von
Versammlungen, der Beschaffung von Werbematerialien (um letzteres
musste ich mich allerdings nicht kümmern). Der Schatzmeister könnte
noch ein ganz eigenes Lied von seiner Arbeit singen. Natürlich, man
muss sich nicht um alles kümmern, es sind ja fünf
Vorstandsmitglieder, aber man muss sich doch mit allem beschäftigen.
Und dabei natürlich nicht zuletzt wieder mit dem Schreiben und
Veröffentlichen von Protokollen. Ich hatte mir viel für mein
Vorstandsamt vorgenommen, wollte Impulse in die Partei senden,
Mitglieder aktivieren, aber letztendlich sind viele von den guten
Vorsätzen auf der Strecke geblieben als mich die Realität der
Verwaltung eingeholt hat.
Ich
war an der Organisation der Kreisparteitage beteiligt, hab die
Satzung und Geschäftsordnung des Kreisverbandes mit ausgearbeitet
(natürlich wurde viel davon raubmordkopiert), und habe letztes Jahr
im November zum ersten Mal einen Bundesparteitag vor Ort erlebt. Wenn
auch nur für einen Tag, und nur als Beobachter mit Stimmkarte.
Nach
dem Wahlkampf, im Sommer, habe ich mehr oder weniger Pause gemacht.
Ich bin seitdem nie wieder so aktiv auf der Mailingliste gewesen wie
zuvor. Ich habe das Mumble entdeckt, aber auch dort bin ich leider
inzwischen viel zu selten, abgesehen von den wöchentlichen
Vorstandstreffen und den Treffen des Bielefelder AK Wirtschaft und
Finanzen, der zwar eher ein Schattendasein führt, jedoch bei
minimalem Einsatz größtmögliche Ergebnisse hervorzubringen mag.
Die Visualisierung des Haushaltes der Stadt Bielefeld ist eines
davon. Mein Dank geht hier an Thomas und Katja, die durch ihre
Zuverlässigkeit und Beständigkeit das Ganze erst möglich gemacht
haben.
Nun
also, nach fast 15 Monaten unterschiedlichster Aktivitäten in der
Piratenpartei vor Ort, bin ich Direktkandidat für die
Bundestagswahl. Ich werde bei den Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag
ein Kreuz bei meinem Namen machen können (sofern die Anlage 13 noch
rechtzeitig vom Landesvorstand zurück geschickt wird). Hätte man
mir das vor wenigen Jahren erzählt, ich hätte laut losgelacht und
ihn für verrückt erklärt. Laut loslachen musste ich tatsächlich,
aber natürlich bin ich dafür in den Keller gegangen. Denn in der
Tat ist die Direktkandidatur die Erfüllung eines Traumes. Eigentlich
wollte ich zwar Bundespräsident werden, aber Bundestagsabgeordneter
ist für den Anfang auch nicht schlecht, schließlich bin ich für
meinen Traumjob noch etwas zu jung. Warum also sollte ich nicht
einfach so tun, als könnte ich diese Chance nutzen?
Doch
wie soll das gehen? Politische Diskussionen habe ich höchstens im
kleinen Kreis geführt. Wofür ich politisch wirklich stehe, habe ich
bisher nicht in den Vordergrund gestellt. Bisher habe ich mich fast
ausschließlich mit der Administration, oder, wenn man so will, mit
der Systempflege und -wartung beschäftigt, nicht mit dem
User-Interface, nicht mit der Darstellung, nicht mit der Vermittlung
von Inhalten. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum ich als
Direktkandidat gewählt wurde.
Ich
habe mich in der ersten Jahreshälfte des Jahres 2012 vor allem über
die Mailingliste mit Herrn Robert F. auseinandergesetzt, weil
er, zumindest für einen sich der Geschichte bewussten Menschen
deutscher Herkunft, unerträgliche Äußerungen von sich gab. Ich
habe mich in der Diskussion auf der Mitgliederversammlung
hinsichtlich der Unterzeichnung des Aufrufes
"Zivilcourage ermöglichen” des "Bielefelder Bündnis
gegen Rechts" durch den Kreisverband vehement gegen eine solche
ausgesprochen. Nicht weil ich nicht gegen rechts bin, oder für die
Ermöglichung von Zivilcourage, sondern weil ich den Aufruf als zu
einseitig und zu pauschalisierend empfand, vielleicht auch als zu
wütend und rechthaberisch. Welche Auswirkungen meine ablehnenden
Worte letztendlich auf die Entscheidung der Mitgliederversammlung
hatten, oder ob überhaupt eine, kann ich nicht beurteilen.
Das
war aber eigentlich auch schon der öffentliche Teil meiner
politischen Statements. Alle anderen sind im kleinen Kreis gefallen,
und haben sich höchstens durch Hörensagen verbreitet.
Was mir am Herzen liegt... Geld
Vielen
dürfte bekannt sein, dass Geld mein Lieblingsthema ist. Nicht, weil
ich es nicht habe, oder nicht genug davon, oder weil ich gerne mehr
davon hätte wie wohl fast jeder von uns, sondern weil es die
zentrale Achse unseres Wirtschaftslebens ist, weil es im wahrsten
Sinne des Wortes zentral darüber bestimmt, wie gut oder schlecht wir
leben, weil seine Wirkung auf unsere Lebensumstände viel
gravierender ist als die der Politik. Geld ist letztlich das, was den
gesamten Kreislauf flüssig laufen lässt, und eine der wichtigsten
Erkenntnisse der letzten Jahre sollte sein, dass wir sehr genau
hinschauen sollten, wo das Geld herkommt, wo es hinfließt, und wie
viel davon. Ignoranz, Gott- oder Kanzlervertrauen bringen uns da
nicht weiter. Wir müssen selbst das Geld in Augenschein nehmen, wenn
wir uns nicht zu seinem Sklaven machen wollen.
Geld
ist mein wichtigstes Thema. Ich bin, wie meine Partei, gegen den ESM,
weil er ein undemokratisches, intransparentes und möglicherweise
verhängnisvolles Geschöpf ist. Er verlängert die Krise, anstatt
sie zu beenden, und schwört ganz neue Gefahren herauf. Anstatt einen
ernsthaften Schuldenschnitt zu machen, und die Banken in Haftung für
ihre eingegangenen Risiken zu nehmen, anstatt einen Marshallplan für
den Aufbau der griechischen Wirtschaft zu unterstützen, wurde immer
mehr Geld in das Schuldenloch hineingeschüttet, ohne dass dies den
Menschen vor Ort irgendeine Hilfe gewesen ist.
Ich
weiss nicht, wie ein modernes Finanzsystem, ein dem Menschen
dienendes Geldsystem aussehen sollte. Ich habe Ideen und
Vorstellungen, ob die jedoch in der Realität funktionieren würden,
kann ich nicht sagen. Aber ich weiss, dass es an der Zeit ist, dass
wir darüber reden, uns Gedanken machen, Alternativen erörtern,
Lösungen prüfen. Es ist an der Zeit, dass wir eine breite
gesellschaftliche Diskussion über die Möglichkeiten der
Veränderungen im Finanzsystem führen, denn für eine Veränderung
zum Besseren ist es notwendige Voraussetzung, dass wir auf breiter
Basis anfangen, Geld und seine Funktionsweise zu verstehen. Die
Piratenpartei ist in dieser Beziehung wesentlich weiter als alle
anderen Parteien, auch wenn sich dies bisher weder im Programm noch
in der öffentlichen Wahrnehmung fest gesetzt hat.
Was mir noch am Herzen liegt... Krieg und Frieden
Abgesehen
von Geld liegt mir die weltweite geopolitische Situation am Herzen.
Seit den Terrorgesetzgebungen, die nach den Anschlägen auf das World
Trade Center verabschiedet wurden, hat sich die weltpolitische Lage
stark verändert. Überwachung und Zensur sind, trotz zeitweiliger
Rückschläge, in allen Ländern auf dem Vormarsch. Datenschutz und
der Schutz der Privatsphäre sind in einer vom Datenhunger der
Konzerne und staatlichen Institutionen geprägten Welt nur noch leere
Worthülsen. Die Militarisierung der Polizei, selbst wenn in anderen
Ländern weiter fortgeschritten als bei uns, ist eine Gefährdung der
Demokratie, in Deutschland, in Europa und insbesondere auch in den
USA. Bei der zu erwartenden schweren, noch schwereren Wirtschafts-
und Finanzkrise droht die Konfrontation zwischen Polizei und
Bevölkerung, und es muss sichergestellt werden, dass die Bevölkerung
durch die Polizei geschützt, und nicht bedroht wird.
Doch
in Bezug auf Geopolitik geht es nicht nur um die Wirkung globaler
Akteure auf unser aller Leben, es geht nicht zuletzt auch um die
Kriegspolitik der westlichen Länder und die Mission, auf der sie
sich befinden. Amerikanische und europäische Soldaten sind überall
auf der Welt stationiert. Sie werden präsentiert als Überbringer
von Demokratie und Menschenrechten, dabei läge Eroberer von
Resourcen und Verteidiger von Wirtschaftsinteressen wesentlich näher
an der Wahrheit. Warum leugnen wir diese Zusammenhänge so gerne?
Weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass unser Wohlstand nicht
zuletzt den Verbrechen des Westens bei den Aggressionen gegenüber
souveränen Staaten geschuldet ist? Vielleicht weil wir nicht
wahrhaben wollen, dass deutsche Soldaten sterben müssen, weil
Zentralasien zentral für die Machtverteilung zwischen Russland,
China und den USA respektive der westlichen Zivilisation ist?
Deutsche
Soldaten sterben nicht, weil irgendwo ein paar Terroristen in Höhlen
hocken und unsere Freiheit, unsere Sicherheit bedrohen. Sie sterben
nicht, weil Frauen in anderen Ländern weniger wert sind als Männer,
weil Menschen unterdrückt und von uns befreit werden - obwohl sich
das natürlich viel besser verkaufen lässt. Nein, Deutsche sterben
am Hindukusch, weil die weiten Steppen Kasachstans, Kirgistans,
Tadschikistans, Usbekistans und all der anderen Nationen in nahen und
fernen Osten unermesslich reich an Resourcen sind, und alle globalen
Akteure um Zugang zu diesen ringen.
Ich
sage hier nichts, was nicht jeder weiss oder wissen könnte. Ich sage
nur das, was ein Politiker von heute niemals auszusprechen wagt. Wer
glaubt den wirklich, die Staatschuldenquote, die deutsche oder
irgendeine andere, würde in Zukunft wirklich sinken? Wer glaubt
daran, dass unsere Kinder nicht auf einem Berg Schulden sitzen
bleiben, den sie niemals zurückzahlen können, dem sie niemals
entkommen können – es sei denn, dass System bricht irgendwann
zusammen? Wer glaubt tatäschlich daran, dass wir einfach so weiter
machen können wie bisher, und die Dinge sich schon irgendwie regeln
werden? Wer glaubt wirklich daran, dass, wenn es so weiter geht wie
bisher, wenn sich nichts ändert, es jemals Frieden geben kann im
Nahen Osten, in Korea, in Afrika?
Solange
Finanz- und Machtinteressen die Aussenpolitik und den Einsatz des
Militärs dominieren, solange ist jede Hoffnung auf einen Kurswechsel
fehlgeleitet. Ich vermute, auch vor den letzten beiden Weltkriegen
haben viele sich eingeredet, dass sich alles schon regeln würde,
dass das alles nicht ganz so schlimm kömmen würde. Aber wenn ich
von den "letzten beiden" rede, heisst dass nicht, dass es
nicht noch mehr geben kann.
Wo unsere Zukunft liegt... Europa
Die
heute herrschende Situation in Griechenland ist dem europäischen
Gedanken unwürdig, und angesichts teilweise bürgerkriegsähnlicher
Zustände und dem wachsenden Elend ist der Friedensnobelpreis für
die EU nur eine Karikatur. Die Selbstbeweihräucherung einer
Bürokratie, die mit ihrem Wirken im Namen der europäischen Einheit
und des europäischen Friedens immer öfter und immer stärker an
jene totalitären Regime erinnert, die uns in der Vergangenheit
heimgesucht haben. Auch wenn ich noch immer eine nicht unwesentliche
Distanz zwischen ihnen sehe: Die Richtung, in die dieser Kontinent
dank der europäischen Bürokratie steuert, stimmt nicht, und es wird
Zeit für einen Kurswechsel. Hin zu mehr Transparenz, mehr
Beteiligung, mehr Mitbestimmung, hin zu mehr Subsidarität, zu mehr
Partizipation, zu mehr Demokratie. Hin zu einer EU, die Bottom-Up,
und nicht Top-Down funktioniert. Europa ist unsere Zukunft, aber es
muss ein freies, demokratisches, und einiges (nicht vereinigtes)
Europa sein. Der europäische Frieden ist vielleicht die größte
zivilisatorische Erungenschaft in der Geschichte dieses Kontinents,
vielleicht sogar in der Geschichte der Welt. Ihn zu bewahren ist, und
Gerechtigkeit zwischen den europäischen Völkern walten zu lassen,
ist unsere Verpflichtung vor der Geschichte. Das ist eine Aufgabe,
die wir nur gemeinsam erfüllen können.
Epilog
Es
gäbe noch viel zu sagen. Es gäbe noch viel zu schreiben. Es gibt
noch viel mehr zu tun. Irgendwann muss einmal schluss sein mit den
Worten, und wir müssen anfangen zu handeln. Auch wenn es
aussichtslos ist, auf einen Platz im Bundestag zu hoffen, so werde
ich mich doch bis zum Abend des 22.9.2013 dieser Realität bewusst
verweigern. Bis dahin, und auch darüber hinaus, werde ich immer
wieder versuchen, in kleinen Schritten, mit Worten und Taten, die
Welt zu verändern in der ich lebe – hin zu einer Welt in der ich
leben will. Letztendlich erschaffen wir alle, gemeinsam, jeden Tag,
jede Stunde, jede Minute, in jeder Sekunde, die Welt in der wir
leben. Es liegt an uns, diese anders zu gestalten und uns neuen
Wegen, neuen Perspektiven, neuen Möglichkeiten zu öffnen. Wir
müssen nur den Mut haben, die Zukunft anders zu denken als wir es
aus der Vergangenheit gewohnt sind. Wir müssen den Mut zur
Veränderung haben.
"Wer
nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren
möchte. "
Gustav
Heinemann