Stopp. Schluss. Aus. Es ist genug.
In weniger als 8 Monaten ist es soweit.
Die Piraten werden die Chance bekommen, in das höchste deutsche
Parlament einzuziehen. Es ist wichtig, für mich, für die Partei,
für dieses Land, dass sie ihre Chance nutzt.
Es ist wichtig für mich, weil ich in
dieser Partei zum Ersten mal in meinem Leben eine politische Heimat
gefunden habe. Als ich, kurz vor meinem Eintritt in die Partei im
Jahr 2011, kurz nach der wegweisenden Wahl in Berlin, das erste Mal
das Grundsatzprogramm der Piratenpartei gelesen habe, war ich tief
bewegt. Hier haben Menschen ein Manifest für das 21. Jahrhundert
geschaffen. Sie haben formuliert, was seit Hunderten von Jahren nicht
formuliert wurde. Sie haben Revolutionäres zu Papier gebracht –
oder sollte man besser sagen, in die Welt gesetzt?
Die Piratenpartei ist für mich mehr
als eine Partei. Sie ist die politische Speerspitze einer Bewegung.
Sie hat sich auf dem Glauben gegründet, das dieses System
updatefähig ist. Die Grünen haben es bewiesen. Sie haben gezeigt,
das eine Bürgerbewegung, entstanden aus einem neuen Bewusstsein in
der Bevölkerung, sich den Weg zur politischen Macht in diesem Land
erarbeiten kann. Dies Land ist bewiesenermaßen demokratiefähig. Und
die Piratenpartei hat sich zum Ziel gesetzt, das Bewusstsein des 21.
Jahrhunderts, das Bewusstsein der sich entwickelnden Informations-
und Wissensgesellschaft, auf friedlichem, politischen Wege dorthin zu
führen, wo die Geister vergangener Zeiten schon lange Platz genommen
haben: An den Tisch der Macht.
Im Mittelalter teilten sich Kirche und
Könige den Kuchen, der dort serviert wurde, später forderten Bürger
ihren Anteil, und verdrängten über die Jahrhunderte Kirche und
Könige von der Macht. Und als der Kampf um die Macht gegen die
Herrscher vergangener Zeiten gewonnen war, begannen Sie,
untereinander um Macht zu ringen. Heute stehen tausende von
Institutionen, Millionen von Individuum im Wettkampf um die Ausübung
einer Macht, die noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar war:
Jeder von uns könnte die Welt in weniger als 24 Stunden umrunden.
Jeder von uns könnte jederzeit mit jedem anderem Reden. Jeder von
uns könnte fast alles über jeden anderen wissen. Jeder von uns
könnte heute mächtiger sein, als es Kirchen und Könige jemals
waren. Und es liegt an uns zu entscheiden, wer diese Macht ausübt.
Wir stehen vor dem Problem, dass zwar
jeder von uns alles wissen könnte, aber nur die größten – und
die geheimsten – Institutionen wirklich in der Lage sind, alles
über jeden in Erfahrung zu bringen. Wir stehen vor dem Problem, dass
jeder von uns zwar jederzeit zu jedem Ort auf der Welt aufbrechen
könnte, es aber vor allem Soldaten und Tötungsmaschinen sind, die
wir dorthin schicken. Wir stehen für dem Problem, das jeder Einzelne
heute mächtiger sein könnte als all seine Vorfahren, aber nur
wenige diese Macht wirklich ausüben. Die Mehrheit der Menschen steht
der Macht heute ohnmächtiger gegenüber als jemals zuvor.
Der Tisch der Macht, an dem noch vor
wenigen Jahrzehnten vor allem Menschen einer Nation saßen, in
Konkurrenz zu den Menschen an den Tischen anderer Nationen, ist heute
ein weltweiter Tisch, besetzt von Vertretern globaler Institutionen,
entsandt von internationalen Konzernen und Geldhäusern, von weltweit
agierenden Netzwerken, zusammengehalten durch gemeinsame Interessen,
seien sie finanzieller, materieller, ideologischer oder militärischer
Natur. Die Griechen haben zu spüren bekommen, was es heisst,
größeren Mächten ausgeliefert zu sein. Sie zahlen schon heute den
Preis, der bald auch von uns gefordert werden könnte.
Vielleicht sollte man betonen, dass es
dieselben Banken waren, die die Griechen in den Euro gemogelt haben,
Ihnen zu viel Geld geliehen haben, ihren Kunden ohne schlechtes
Gewissen, trotz besseren Wissens Schrott als Gold verkauft haben, die
sich vom Steuerzahler haben retten lassen, und die heute allen
Ländern diktieren, wie sie zu wirtschaften haben. Vielleicht sollte
man Wert darauf legen, dass jeder versteht, was in den vergangenen
fünf Jahren passiert ist. Vielleicht reicht es aber auch zu sagen,
dass es heute am Tisch der Mächtigen kaum gewählte, und noch
weniger glaubwürdige Volkvertreter gibt. Wo noch vor wenigen
Jahrzehnten die Politik gleichberechtigt, teilweise sogar führend
mit Militärs und Kapital an einem Tisch saß, wird der Wille des
Volkes heute kaum noch artikuliert, und noch weniger wahr-, schon gar
nicht ernst genommen. Nachdem unsere Politiker sich entschieden
haben, lieber die Stimme der Macht unter den Bürgern zu sein als die
Stimme der Bürger unter den Mächtigen, ist es an der Zeit, ein
neues Sprachrohr für des Volkes Willen zu finden. Es ist die
Piratenpartei, die sich dem Anspruch verschrieben hat, dieses zu
sein.
Für mich ist die Piratenpartei weit
mehr als eine Partei: Sie steht für ein neues Bewusstsein, eine neue
Gesellschaft. Sie hat eine Utopie, eine Vision, die in den
Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts - oder sollte ich besser sagen, des dritten Jahrtausends? - verwurzelt ist. Sie ist die
Keimzelle einer neuen politischen Organisationsform, und Brutstätte
des politischen Fortschritts in der aufkommenden Wissengesellschaft.
Die Piratenpartei ist der Vorbote einer neuen Zeit, und ihr Erfolg –
wie ihr Mißerfolg - entscheidet darüber, ob diese Gesellschaft sich
ihrer Utopie – oder ihrer Dystopie – nähert. Bürgerrechte,
Überwachung, Privatsphäre, Datenschutz, Informationsfreiheit,
Bildung, Nachhaltigkeit, oder einfach gesagt: Freiheit: darum geht es
heute. Nicht mehr und nicht weniger. Werden wir frei sein von
mächtigen wie gierigen Finanzinteressen, werden wir frei sein von
unerbittlichen Marktkräften, in denen ein Mensch nicht mehr wert ist
als die Arbeit, die er zu leisten vermag? Werden wir frei sein von
Rechtlosigkeit, Zensur und Medienmanipulation? Frei von der
Ohnmächtigkeit, mit der wir heute den globalen Entwicklungen
gegenüber stehen? Und wie frei werden unsere Kinder sein?
Die Piratenpartei ist wichtig für
dieses Land. Sie ist das am weitesten entwickelte Werkzeug in den
Händen politisch engagierter Bürger, die aufgehört haben, auf
andere zu hoffen, und die die Wende zum Besseren in diesem Land
selbst in die Wege leiten wollen, ohne sich auf eine gescheiterte
Politiker-Kaste zu verlassen. Die Piratenpartei bildet tausende,
zehntausende Menschen in der Benutzung moderner Kommunikations-,
Arbeits-, und Organisationswerkzeuge aus, und diese Menschen helfen
sie zu verbessern, oder sie durch Bessere zu ersetzen. Die
Piratenpartei ermöglicht hundertausenden, sogar millionen Menschen
das Mitmachen - wenn sie bereit dazu sind..
Noch ist die Piratenpartei ein
teilweise chaotischer Chor von Stimmen, und jene, zu denen er
spricht, verstehen ihn nicht. Noch benötigen wir Übersetzer, Einzelne die hervortreten, um unserem Gegenüber, das nicht im Chor
seine Stimme erhebt, die Bedeutung unserer Worte vermitteln. Noch
gibt es Disharmonien, die nicht nur Außenstehende verschrecken. Aber
wer tiefer in das Stimmenmeer eintaucht, wird feststellen, wie groß
die Dynamik im Schwarm ist und wie viel sich unter der Oberfläche
organisiert. Während von außen nur der Schaum auf den Wellen
gesehen, das Dröhnen der Lautesten gehört wird, schreitet die
menschliche Evolution unter der Oberfläche unaufhaltsam voran.
Und ja. Es ist die menschliche
Evolution, der wir in der Piratenpartei begegnen. Sie erschafft eine
völlig neue Qualität in der politischen Arbeit, in den
Möglichkeiten der Beteiligung und in der Verwirklichung von
Transparenz. In Zukunft werden wir Politik fast nur noch im Netz
machen. Wir werden sie nicht weniger als heute auch außerhalb des
Netzes machen. Aber wir werden so viel mehr Politik machen, dass die
Offline-Politik nur mehr ein kleiner Teil sein wird. Physische und
psychische Barrieren zur politischen Teilhabe werden eingerissen, und
aus einem Klub der Alphamännchen (und davon gibt es durchaus auch
weibliche), welcher unser Politikbetrieb bis heute ist, wird in
Zukunft eine Gemeinschaft der Vielfältigen. Die Piratenpartei, und
insbesondere die Piratenpartei Deutschland, sind Pioniere auf diesem
Weg einer Reorganisation unserer Gesellschaft und unserer Staatsform,
der Demokratie. Und wenn ich schon in der großen Bedeutung schwelge:
Der Erfolg der Piratenpartei in diesem Land wird zum Präzedenzfall
für die Welt. Der zweitgrößte Parteitag der Welt war der
Bundesparteitag 2012.2 der Piraten in Bochum. Nur der Parteitag der
kommunistischen Partei in China hat mehr Teilnehmer. Und doch könnten
die Unterschiede nicht größer sein.
Die Piratenpartei ist Keimzelle, oder
zumindest Katalysator einer globalen politischen Bewegung, die,
anders als die Nationen und Staatenbünde von heute, die reelle
Chance hat, globale Konzerne und Institutionen in ihre Schranken zu
weisen, und dem Menschen, dem Individuum wieder zu Wertschätzung und
Würde zu verhelfen. Die Piratenpartei ist ein in der Entstehung
begriffenes weltweites politisches Netzwerk, das viel schneller und
effektiver grenzübergreifend handeln und Einfluss nehmen kann (oder
können wird) als jede heutige Institution. Nicht in den Interessen
einiger weniger, sondern mit den Bürgern, durch die Bürger und für
die Bürger.
Aber die Zeit rennt uns davon. Die neue
Technik ermöglicht nicht nur uns Bürgern, mehr Einfluss zu nehmen.
Sie stärkt auch die skrupellosen Organisationen und Regierungen, in
denen Profit und Macht mehr als Menschenleben zählen. Überwachung
und Kontrolle sind die harmloseren Auswirkungen einer immer
tyrannischer werdenden Welt. Kriege werden im heutigen Doppelsprech
zu Frieden schaffenden Maßnahmen. Die von den Finanzkonzernen
verursachte Krise hat die Verursacher noch stärker, mächtiger als
je zuvor gemacht. Staatliche und privatwirtschaftliche Macht
verschmelzen auf internationaler Ebene immer stärker zu einer
Einheit, in der demokratisch gewählte Volksvertreter, demokratisch
getroffene Entscheidungen als lästiges Hindernis betrachtet werden.
Für diese Verschmelzung zwischen
staatlicher Autorität und privaten Wirtschaftsinteressen gibt es
ein Wort. Es heisst "Faschismus". Auch wenn die Propaganda
heute weiter entwickelt, subtiler, schwerer zu durchschauen ist als
vor 70 oder 80 Jahren, auch wenn das Volk heute nicht mehr mit
Soldatenstiefeln, sondern mit Ablenkung in Schach gehalten wird, der
menschenverachtende Kern dieser Ideologie hat sich nicht verändert.
Der Westen befindet sich seit Jahrzehnten im dauerhaften Krieg, der
Friedensnobelpreisträger B.H.Obama hat tausende unschuldiger Kinder
mit seinen Drohnen töten lassen, Folter wurde zur akzeptierten
Normalität, und die Bürgerrechte werden zu Gunsten des
Überwachungs- und Kontrollwahns mehr und mehr beseitigt. Diese
Gesellschaft wird immer roher, immer unsensibler wenn es um das
eigene Verhalten geht, eingelullt von der Propaganda staatlicher und
privater Medien, die allein durch ihre Wortwahl und Auswahl der
Nachrichten das Weltbild in den Köpfen der Menschen prägen. Wir
gewöhnen uns an die tägliche Gewalt, wir glauben gar, es geht gar
nicht mehr ohne, weil die Welt nun mal gewalttätig sei und wir uns
ihr anpassen müssen. Dabei sind wir es, die die meiste Gewalt in die
Welt tragen. Wir leiden heute unter der gleichen Selbstverleugnung
wie schon unsere Eltern und Großeltern einige Jahrzehnte zuvor. Die
Frage ist, wann wir bereit sein werden, dies zu erkennen – oder ob
wir offenen Auges, aber ohne klaren Blick, ein weiteres Mal in unser
Verderben rennen.
Unsere heutige Zeit unterscheidet sich
nicht sehr von 1939. Wieder stehen wir vor einem globalen Krieg,
wieder verdrängt die Mehrheit der Menschen die unmenschlichen
Tatsachen, verneint die eigene Verantwortung für die Gewalt in der
Welt, wieder verschwören sich die Mächtigsten zu verbrecherischem
Handeln, um ihre Macht zu festigen, scheinheilig begründet mit der Schaffung von Sicherheit und Freiheit, und wieder ist jeder der
dagegen angeht ein Aussätziger, ein einsamer Rufer in der Wüste,
bestenfalls verlacht oder ignoriert, schlimmstenfalls auf Jahre ohne
Anklage und ordentliches Verfahren ins Loch gesperrt, oder gar mit
einer Drohne hingerichtet.
Aber anstatt uns mit den wirklich
wichtigen Dingen des Lebens zu beschäftigen, schmeißen wir eine
Dosis Soma ein und träumen uns die Welt schön. Die heutige Realität
ist viel schlimmer als die Schöne Neue Welt 1984 je hätte sein
können. Die Frage ist nur, wann wir bereit sind, das zu erkennen –
oder ob überhaupt.
Unsere beste Chance besteht darin, dass
Schmierentheater der Politik so schnell wie möglich zu entlarven,
die wahren Verhältnisse zu offenbaren, Tacheles zu reden und uns
nicht mehr von den Lügen der Propaganda-Abteilung ablenken zu
lassen. Unsere Chance liegt darin, mit Hilfe der modernen Technik
neue Lösungswege, neue Lösungen für die alten Probleme zu finden.
Unsere beste Chance, dies zu erreichen, ist, dass die Piratenpartei
in wenigen Monaten den Bundestag erobert, und von dort dem
alltäglichen Wahnsinn Tag für Tag die Stirn bietet.
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